Raritätensuche Tessin 28.04.-01.05

Die Magadinoebene im Tessin ist insbesondere im Frühling wahrlich ein Hotspot für seltene Vögel. Die besondere topographische Lage und geeigneten Lebensräume veranlassen sehr viele Zugvögeln hier einen Halt einzulegen. Arten die in der Schweiz ansonsten nur sehr spärlich zu sehen sind, treten regelmässig in hoher Dichte auf. Zudem werden auch fast alljährlich echte Raritäten gefunden. Für dieses Wochenende wurde eine Raritätensuche durch den CHClub300 organisiert. Ziel: Möglichst viele Ornithologen aus der ganzen Schweiz sollten möglichst alle Ecken der Ebene aufsuchen, um möglichst viele Vogelarten zu finden. Dabei erhoffte man sich die einte oder andere Seltenheit zu entdecken. Soviel zur Einführung.

 

28.4.

 

Am Freitag stiegen vier Bebbi Babbler in den Zug. Die Aussichten waren nicht schlecht. In der Woche davor hatte es viel geregnet, was zu einem massiven Zugstau mit Spornpieper, Steppenweihe, Doppelschnepfe und Rötelschwalbe geführt hatte.

 

Direkt neben dem Bahnhof von Tenero entdeckten wir bereits erste Gartenrotschwänze, Braunkehlchen, Steinschmätzer und Trauerschnäpper, die nach dem Zugstau in der ganzen Ebene in kosmischen Zahlen vorkamen (Im Blog berichteten wir von einer Exkursion ins Leimental mit unglaublichen 64 Steinschmätzern. Hier waren laut ornitho.ch am 26. April bis zu 250 Individuen in einem einzigen Quadratkilometer anzutreffen! Auch wir haben am Samstag irgendwann aufgehört zu zählen). Schwer beladen radelten wir bis zum Campingplatz am See. Nach dem Aufstellen der Zelte stand noch eine spontane Nachtexkursion auf dem Programm. Unterhalb einer Brücke zeigte sich prompt ein adulter Nachtreiher aus kurzer Distanz. Im Hide in der Bolla Rossa lauschten wird in die Nacht hinein. Aus der Ferne ertönte der monotone Ruf der Zwergohreule. Erfolg!

 

29.4.

 

Nach einer kurzen Nacht standen wir bald wieder auf den Beinen. Kurz vor Sonnenaufgang standen wir am Bahnhof von Sant Antonino, bereit für die Raritätensuche. Sogleich begannen wir jede Hecke und jeden Acker gründlich zu kontrollieren. Bereits die erste Hecke brachte uns mehrere Feldschwirle, Braunkehlchen, Gartenrotschwänze, Nachtigall, Trauerschnäpper ein. Dann ging alles mehr oder weniger Schlag auf Schlag. Zwei kreisende Rotfussfalken eröffneten das Spektakel. Waldlaubsänger, Wendehälse, überall Schafstelzen, Steinschmätzer, Braunkehlchen. Etwas weiter landete ein Brachpieper direkt vor uns neben den Weg. Inzwischen sassen elf Rotfussfalken nebeneinander auf Pfosten. Der Ruf eines Rotkehlpiepers ertönte, Rohrweihen, Steinadler kreisten, ein Fischadler zog hoch über uns weg, ein Ortolan zeigte sich. Erstaunlicherweise entdeckten wir auch eine späte weibchenfarbige Kornweihe. Für richtige Aufregung sorgte die nächste Weihe. Zuerst war sie nur von hinten zu sehen. Steppenweihe oder Wiesenweihe kamen in Frage. Nach einer kurzen Nachsuche flog sie plötzlich wenige Meter neben uns vorbei. Nachdem wir sie gut von der Seite gesehen hatten und unsere Fotos zur Sicherheit begutachtet hatten stand fest: Steppenweihe im 2. Kalenderjahr! Etwas später schraubte sie sich in die Höhe und verschwand. Was für eine Beobachtung! Mit einem Schlangenadler und einer männlichen Wiesenweihe ging es im ähnlichen Stil weiter – zwischendurch Klapper-, Dorngrasmücken, Neuntöter und Baumfalken. Inzwischen hatten wir alle europäischen Weihen an einem Tag – und das in der Schweiz! Ein roter Punkt in einer Wiese erregte unsere Aufmerksamkeit. Ein kurzer Blick durch das Fernrohr zeigte, dass es sich um nichts anderes handelte als den Kopf eines Rotkehlpiepers. Der morgendliche Auftakt hätte wohl kaum besser laufen können!

 

Es war Zeit für ein Picknick. Am kleinen See Laghetto di Gudo gönnten wir uns ein vielfältiges gesundes Picknick (Cola, Chips, Schokomousse J ) ohne dabei Zwergdommel, Nachtreiher, Drosselrohrsänger etc. zu verpassen. Mit den Velos fuhren wir die Ebene in Richtung Lago Maggiore ab. Mit ins Gepäck nahmen wir einen männlichen Halsbandschnäpper und einen Rotkopfwürger. Beim Zeltplatz entdeckte Samuel in einem kleinen Schafstelzentrupp ein Individuum mit Merkmalen der Unterart flavissima in ihrem typischen Lebensraum, englischer Rasen.

 

Vor der Pizza wurde noch ein kurzer Abstecher in die Bolla Rossa unternommen. Wie selbstverständlich hüpfte ein Blaukehlchen neben dem überschwemmten Weg herum. Sozusagen die Kirsche auf der Sahnetorte. Ein Schilfrohrsänger sang direkt neben dem Hide, Zwergmöwen sassen weit aussen auf dem See. Nach einer kurzen Velofahrt erreichten wir die Pizzeria, wo wir uns nach diesem völlig verrückten Tag zurücklehnten und unsere Pizzen geniessten, während wir uns mit den übrigen Ornithologen austauschten. Etwas zu spät krochen wir in unsere Schlafsäcke.

 

30.4

 

Bei Sonnenaufgang standen wir wieder im Hide in der Bolla Rossa. Am Schilfrand zeigte sich bald ein erstes Kleines Sumpfhuhn. Etwas später ein zweites… und ein drittes! Drei Raubseeschwalben jagten auf dem See. Ein Stelzenläufer flog direkt vor uns vorbei. Von Ornithologen im Maggiadelta erhielten wir die Meldung, dass ein Rallenreiher in unsere Richtung flog. Wenige Minuten später erblickten wir ihn über den See fliegend. Dunkler Wasserläufer, Kampfläufer, Rotschenkel, Tüpfelsumpfhuhn und Zwergdommel versüssten uns den Morgen zusätzlich. Auch heute wieder ein Auftakt wie aus dem Bilderbuch!

 

 

Den Nachmittag widmeten wir wieder den Feldern in der Ebene. Aufgrund des schönen Wetters waren viele rastende Zugvögel weggezogen und es war etwas „ruhiger“(bezogen auf das Tessin in den letzten Tagen). Sprich: Rotfussfalke, Wachtel, eine wahrscheinliche Trauerbachstelze und ein zweiter Rotkopfwürger relativieren diese Aussage. Am Laghetto di Gudo zeigte sich abermals ein Stelzenläufer. Abgerundet wurde dies durch die Beobachtung zweier Ortolane in einem Acker.

 

 

Den Abend verbrachten wir an der Ticinomündung. Unter den hunderten Schwalben suchten wir vergebens nach einer Rötelschwalbe… Im Schein der Fantalampe assen wir schliesslich unser Picknick am See und liessen so den Tag ausklingen - wieder ein Tag den wir so schnell nicht vergessen werden.

 

1.5.

 

Auch am Montag standen wir wieder frühmorgens im Beobachtungshäuschen in der Bolla Rossa. Ein Kleines Sumpfhuhn zeigte sich auf wenige Meter. In den umliegenden Feldern trafen wir auf Arten wie Pirol, Dorngrasmücken und Turteltaube, die Kälte und Nässe erschwerte aber die Beobachtungsumstände. Auf einem Acker zeigten sich noch drei Grünschenkel, ein Dunkler Wasserläufer im Prachtkleid, Ortolan und Heringsmöwen. Nach diesen Beobachtungen kehrten wir zurück in unser Basislager, bauten die Zelte ab und verabschiedeten uns zufrieden vom schönen Tessin.

 

Wir hatten Glück! Es hätte wohl kaum besser laufen können. Die enorme Zahl an Seltenheiten aber auch die Massen an mässig häufigen Arten haben dieses Wochenende zu einem Wahnsinnserlebnis gemacht. Zumindest für mich der Höhepunkt meiner bisherigen Ornilaufbahn in der Schweiz! Wir freuen uns auf nächstes Jahr…

 

Von Sylvain

 

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